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“Katalanisch” oder “Valencianisch”?: zum sprachlichen Sezessionismus im Land València

(ZfK, 6. 1993. 97-120)

Hans-Ingo Radatz (Otto-Friedrich-Universität zu Bamberg)

Die Uneinigkeit über die angemessene Bezeichnung des Katalanischen im País Valencià hat eine lange Tradition. Die ursprüngliche Fülle von Bezeichnungen (romanç pla, llemosí, catalanesc, etc.) hat sich im Laufe der Zeit auf die beiden Alternativen valencià oder català reduziert, die bis heute gebräuchlich geblieben sind. Man muß in diesem Zusammenhang allerdings zwei Phänomene klar voneinander trennen, die zwar oft kombiniert auftreten, nicht aber logisch miteinander gekoppelt sind –zum einen die Verwendung verschiedener Bezeichnungen für das Katalanische Valèncias, zum anderen dagegen das Postulat des Valencianischen als einer vom Katalanischen unabhängigen, eigenständigen Sprache. Die Verwendung der Bezeichnung valencià impliziert historisch keinesfalls diese sezessionistische Position:

“Ja ha estat dit que els escriptors valencians que en els segles XV i XVI donaven normalment el nom de “valenciana” a la seua llengua vernacla, no pretenien negar la unitat idiomàtica de València amb Catalunya i Mallorca [...] (SANCHIS GUARNER 1983: 39).

Erst im 18. Jahrhundert, während der sogennanten decadència, formulierte Marc Antoni Orellana als einer der ersten die Hypothese einer eigenständigen valencianischen Sprache, erlangte damit jedoch keinen praktischen Einfluß, da die Autoren zu jener Zeit ohnehin fast ausschließlich auf Kastilisch schrieben, während es für die Umgangssprache ohne Belang war, in welchem Verhältnis sie zum Katalanischen stand. Mit dem Beginn der Renaixença bildeten sich in València zwei Gruppen mit unterschiedlichen Einstellungen zur Sprache heraus:

“D’una banda hi havia el grup moderat, restaurador i cultista, de Llorente, Querol, Labaila [...], intel.lectuals “felibres” d’escassa influència en la burgesia valenciana, la castellanització de la qual a penes no combatien. D’altra banda hi havia un sector més vitalista però certament menys culte, el de Constantí Llombart, Escalante, Liern [...], generalment autodidacta d’ascendència menestral i ideari liberal o republicà, més atrets per la saba popular que no per l’erudició”. (SANCHIS GUARNER 1983: 46).

Während die ersteren, die “cultistes”, in einem archaisierenden Idiom schrieben, das sie llemosí nannten und das praktisch mit ähnlichen Sprachformen in Katalonien und auf Mallorca identisch war, verwandte die zweite Gruppe ein stark regional getöntes, umgangssprachliches und mit unkritisch übernommenen Kastilianismen gespicktes Valencianisch, das sie mit Hilfe des kastilischen Grapheminventars quasi-phonetisch wiedergaben. Ein typisches Beispiel für diese frühe, vornormative Graphie ist die folgende Bühnenanweisung aus El virgo de Visanteta (1845) von Josep Bernat i Baldoví:

“La cantá [cantada] esta pasa en el poble de Favára, en lo reyne de Valensia. El treato [sic!] representa cuansevól cosa; una sala, un corrál, ó una pallisa, y encara que siga un estable, no vól dir res. [...] Si hiá cadires, bé, y si no niá també; el que vullga que s’asente en terra. En la paret frontera dos cuadros penchats, la ú del Pare Etern, y l’altre de Sen Róc; [...]. Yaurá també dos o tres portes tancáes [tancades], que no se sap ahón cauen, y si no les tanquen, millór. [...] Arreglat ya tot asó, encesos els cresolets, y depues de pegár sét, ú huit trompaes [trompades] la orquesta, pucha capamunt el teló, y escomensa la festa. (BERNAT I BALDOVÍ 1977: 7-8).

Der Konflikt zwischen diesen beiden Positionen bestand in den meisten Fällen weniger darin, ob man nun Valencianisch oder Katalanisch zu schreiben habe, sondern vielmehr, inwieweit sich die geschriebene Literatursprache von der gesprochenen Umgangsprache entfernen dürfe oder solle. Die Position der “anticultistes” oder “vulgaristes” (Sanchis Guarner 1983: 46) wurde z.B. von dem Gramatiker Josep Nebot i Pérez vertreten, der in seiner Gramatik von 1894 für das Valencianische eine stark dialektale Patois-Graphie vorschlug. Wie das folgende Zitat aus seinen Apuntes para una Gramática valenciana popular von 1894 zeigt, bestand jedoch auch für Nebot i Pérez das Problem nicht darin, welche Sprache in València gesprochen wird, sondern nach welchen Kriterien sie verschriftlicht werden sollte; wenn auch ablehnend, zog selbst er die Möglichkeit einer Übernahme der katalanischen Schriftsprache in Betracht:

“[...] creo sinceramente que ha llegado el momento de escribir dos gramáticas diferentes: [...] la literaria y la popular. La primera, que la escriba Lo Rat Penat, o quien tenga autoridad para ello (si no se quiere adoptar la catalana literaria, que sería tal vez lo más prudente), y la segunda, que hoy damos al público [...]” (Citat a SANCHIS GUARNER 1983: 47).

Zu den radikalsten Vertretern einer antikultistichen valencianischen Ortographie gehörte Josep Mª Bayarri, der in zahlreichen Publikationen eine phonetische Transkription seines apitxat-Subdialektes zur allgemeinen Literatursprache erheben wollte:

“Ara nosatros, avem netexat, fiqsat i depurat de grafies apsurdes la esqritura de la nostra llengua, fasilitanla a tots per a qe tots els qe parlen l’idioma sapien llexirlo i qonseqüentment esqriurel” (Citat a SANCHIS GUARNER 1983: 187).

Keiner dieser Normvorschläge konnte sich jedoch durchsetzen, wenn das Bedürfnis nach einer allgemein verbindlichen Norm auch immer größer wurde.

In dem Maße, in dem das Normierungswerk des Institut d’Estudis Catalans voranschritt (Normes ortogràfiques 1913, Gramàtica catalana, 1918 und Diccionari general de la llengua catalana 1932), begann sich daher die Fabrasche Norm in ihren Grundzügen auch im Land València durchzusetzen. De facto endete die Ortographiediskussion in València mit der Annahme der sogennanten Normes de Castelló 1932, die von Repräsentanten nahezu aller maßgeblicher Kreise und Institutionen unterzeichnet wurden [1] . Diese Einigung bedeutete eine nur leicht modifizierte Übernahme und Akzeptanz der Norm Pompeu Fabras, was dadürch möglich wurde, daß Fabra für seine Normierung ohnehin stets die Gesamtheit des katalanischen Sprachgebietes im Auge gehabt hatte und nicht, wie die meisten anderen, einfach die phonetische Umschrift seines eigenes Dialekts zur Norm erklärte. Die historische Bedeutung dieses Kompromisses war den Unterzeichnern durchaus klar und spiegelt sich in der Feierlichkeit der Formulierung wieder:

“[...] Eixa és la nostra gran satisfacció. Els escriptors i investigadors del País Valencià, les corporacions i publicacions més preparades de la nostra terra, amb un patriotisme que mai s’enaltirà prou, han arribat a l’acord transaccional que suposa el sistema que ací s’explana. Van sense dir que no hi ha cap vençut, puix les autoritats filològiques que sotafirmen mantenen els seus punts de vista científics, penyora viva de nous progressos [...]” (de les Normes de Castelló. Citat a PÉREZ MORAGÓN 1982 (a). 135-6).

Die allgemeine Annahme der Normes de Castelló wurde vor allem auch durch ihre diplomatische Abfassung möglich: Zum einen beschränkten sie sich auf eine Kodifizierung der Rechtschreibung, nicht aber des Lexikons und der Morphologie; zum anderen wurde durchgehend die Benennung der zu normierenden Sprache durch Formeln wie “la llengua vernàcula”, “el parlar del País Valencià”, “la llengua pròpia” oder “la nostra llengua” ersetzt, um sowohl Pankatalanisten als auch valencianischen Sezessionisten die Unterschrift zu ermöglichen. Tatsächlich war natürlich auch den Verfechtern der Eigensprachlichkeit des Valencianischen klar, daß ihre Unterschrift unter die Normes de Castelló eine Übernahme der Norm des Katalanischen bedeutete.

Selbstverständlich gab es in València (ebenso wie in Katalonien selbst und auf den Inseln) auch Stimmen, die sich gegen diese Norm wandten; doch unter denjenigen, die als Wissenschaftler, Schriftsteller, Journalisten, etc. tatsächlich Katalanisch schrieben, fand sie nahezu uneingeschränkte Akzeptanz. Heute, siebzig Jahre nach Verabschiedung der Normes de Castelló, bilden diese die Grundlage des gesamten katalanischsprachigen Geisteslebens der Comunitat Valenciana [2] ; die Schulen und Universitäten, sämtliche Organe der Generalitat Valenciana sowie alle bedeutenden Schriftsteller (Vicent Andrés Estellés, Joan Fuster, Joan F. Mira, Enric Valor, Josep Piera, u.a.m.) benutzen heute die nur geringfügig den valencianischen Gegebenheiten angepaßte katalanische Schriftsprache [3] .

Trotz dieses offensichtlichen Erfolges erhebt sich jedoch in València immer wieder die Forderung, dem vorgeblichen imperialismo catalán Einhalt zu gebieten. Die Sezessionisten bestehen auf der völligen Eigenständigkeit der llengua valenciana und sehen in der allenthalben verwendeten und in València seit siebzig Jahren fest etablierten Standardsprache ein aufoktroyiertes System einer “fremden” Sprache (des Katalanischen). Bis vor kurzem war diese Debatte eher ein Thema für Heimatvereine und philologische Außenseiter, denn einerseits war in der Praxis die Akzeptanz der Normes de Castelló überwältigend (die ja, zumindest implizit, von der sprachlichen Einheit der Katalanischen Länder ausgehen), zum anderen bestand in der internationalen Romanistik und Linguistik Übereinstimmung darüber, daß das “Valencianische” dem Dialektkontinuum jener westromanischen Sprache zuzurechnen ist, die sich historisch vom heute südfranzösischen Salses bis zum valencianischen Guardamar erstreckt und in der Wissenschaft einheitlich “Katalanisch” genannt wird [4] . Namhafte Wissenschaftler haben sich wiederholt gegen die sezessionistische Position ausgesprochen und ihr jegliche wissenschaftliche Fundierung abgesprochen [5] .

Lange Zeit hatten in València die heute eher antikatalanistisch eingestellten Kreise um die Organisation Lo Rat-Penat und im Umkreis der Jocs Florals ohne größere Konfrontationen neben den katalanistisch ausgerichteten Organisationen existiert, ja teilweise sogar mit ihnen zusammengearbeitet. Erst mit der Agonie des Franco-Regimes und dem Beginn der Demokratie endete diese “friedliche Koexistenz”, und es begann ab 1974, also noch zu Francos Zeiten, eine antikatalanistische Kampaigne, die bis in unsere Tage fortdauert. In diesem Zusammenhang muß auch die Gründung der Academia de Cultura Valenciana [6] gesehen werden. Sie ging am 31. Januar 1978 durch Änderung der Satzung und des Namens aus dem 1915 gegründeten, ehemaligen Centre de Cultura Valenciana hervor, einer weitestgehend kastilianisierten Organisation, die nie großes Interesse an sprachlichen Fragen gezeigt hatte, wenn sie auch 1932 zu den Unterzeichnern der Normes de Castelló gehört hatte (“[...] fins i tot [havia] defensat públicament la unitat del català” SEBASTIÀ 1991 (a): 10).7 Obwohl durch die Satzungsänderung eine völlig neue Institution geschaffen wurde, macht sich die Academia dennoch stets die Tradition ihrer Vorgängerorganisation zueigen und feierte daher konsequenterweise 1990, zwölf Jahre nach ihrer Gründung, den 75. Jahrestag ihres Bestehens.

Die Secció de Llengua i Literatura dieser Institution begann ihre Tätigkeit mit der Ausarbeitung einer neuen valencianischen Normative, die im wesentlichen auf den Vorschlägen basiert, die der eng mit der Presse des Movimiento assoziierte Miquel Adlert in seinem Buch En defensa de la llengua valenciana: perqué i com s’ha d’escriure la que es parla 1977 veröffentlicht hatte. Der Versuch, diese Rechtschreibreform im Rahmen des präautonomen Prozesses zu offizialisieren, scheiterte. Nach diesem Mißerfolg riefen die Vertreter der sezessionistischen Normative am [7] . März 1981 ihre Anhänger im Kloster Monestir del Puig zusammen (daher spricht man auch von den Normes del Puig) und sammelten dort dem Wortlaut ihres Manifestes zufolge

“[...] firmas de un millar de intelectuales y representantes de entidades culturales del Reino de Valencia a la Academia de Cultura Valenciana, en apoyo de las normas ortográficas establecidas para la lengua valenciana, por la sección de lengua y literatura de dicha Academia” [8] (citat segons PÉREZ MORAGÓN 1982 (b): 35)”.

Tatsächlich mißlang nicht nur der Versuch, die Normes del Puig zu institutionalisieren; denn auch der noch wichtigere Aspekt der praktischen Annahme durch die Benutzer der Sprache wurde zu einem Fiasko, selbst innerhalb der eigenen Organisation:

“Però dins l’Acadèmia aquestes normes tampoc són acceptades amb unanimitat. Per la gran majoria dels membres, no deixen de ser una anècdota ja que mai empren el valencià i escriuen sempre en espanyol. Totes les publicacions i comunicats, a excepció dels de la secció filològica, són també redactats en espanyol. (SEBASTIÀ 1991 (a): 11).

Politische Ereignisse der letzten Zeit verleihen nun dieser sowohl wissenschaftlich als auch politisch eigentlich bereits ausdiskutierten Debatte plötzlich wieder eine neue Aktualität und eine bis dahin unbekannte Dimension. Bei den Kommunalwahlen am 26. Mai 1991 veränderten sich die Verhältnisse im Stadtparlament der Stadt València, in dem bisher die sozialistische PSOE die Mehrheit gehabt hatte. Die Wahl brachte die rechtskonservative PP an die Macht, allerdings in Koalition mit der rechtsregionalistischen Unió Valenciana mit ihrem Vorsitzenden Vicent González Lizondo. Dieser war nicht nur durch seinen Populismus aufgefallen, sondern besonders auch durch seinen militanten Antikatalanismus. Durch diese Wahl hat sich nun mal die Situation ergeben, daß Vertreter der ansonsten eher sektiererischen sezessionistischen Position über die reale politische Macht verfügen, ihrem Antikatalanismus auch administrativ Geltung zu verschaffen, und sei es momentan auch nun in der Stadt València selbst [9] . Die schlimmen Erwartungen haben sich nach der Wahl bestätigt; die Abgeordnete María Dolores García Broch (UV) hat bereits mehrfach geäußert, sie wolle in ihrem Einflußbereich sämtliche Texte in normativer Ortographie durch solche in der sezessionistischen Graphie der obskuren Academia de Cultura Valenciana ersetzen lassen:

“La setmana passada, María Dolores García Broch, regidora per Unió Valenciana a l’Ajuntament de València i responsable de l’àrea d’educació, anunciava que donaria ordres per a canviar els rètols escrits en Valencià als museus de la ciutat i que també es canviarien les normes en què la seua regidoria redactava les notificacions a les escoles. Segons la regidora, era senzillament “corregir els textos al veritable valencià”. Les normes que formen aquest “veritable valencià” no són altres que les de l’Acadèmia de Cultura Valenciana. [...] L’Acadèmia té des d’aquest moment un suport com a guia en matèria lingüística que mai abans havia tingut. [...] Ara és l’Ajuntament del Cap i Casal, o almenys una part [...] qui l’eleva a la categoria d’autoritat. La secessió del català s’institucionalitza”. (SEBASTIÀ 1991 (a): 10).

Einer der neuesten Diskussionsbeiträge der Sezessionisten ist die Gramatica de la llengua valenciana des Grundschulers Antoni Fontelles und der beiden Lizenziaten in Hispanischer Philologie Laura García und Joaquim Lanuza, alle drei Mitarbeiter der Secció de Llengua i Literatura der Academia, aus dem Jahre 1987 [10] . Das Buch hätte unter normalen Umständen in Fachkreisen sicher nur geringe Beachtung gefunden, gewinnt aber unter den veränderten äußeren Umständen eine unerwartete Aktualität. Es ist innerhalb der Ortographiedebatte nicht irgendein Beitrag unter vielen, sondern der letzte und vielleicht ambitionierteste Versuch, die Sprache Valèncias als unabhängig vom Katalanischen zu präsentieren und der sezessionistischen Position wissenschaftliche Dignität zu verleihen. Das Buch präsentiert sich durch seinen Titel, in seinem Inhaltsverzeichnis und in der verwendten Terminologie als philologische Fachpublikation und nicht als populärwissenschaftliches Werk; insofern ist es überraschend, in welchen Mengen es in der Comunitat Valenciana in den letzten Monaten verkauft oder doch zumindest angeboten worden ist [11] und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß einflußreiche Kreise seine Verbreitung energisch fördern.

Bücher mit dem Titel “Grammatik” können viele verschiedene Zielsetzungen haben. Das Wort (Preambul) von Xavier Casp erläutert, welche davon die Autoren (nicht) verfolgt haben wollen:

“Lo que no hi ha dubte es que no es tradicional, ni comparada, ni historica, ni -per descontat- normativa o preceptiva, perque aço ultim no es atribut d’autors personals; [...]” (FONTELLES/GARCÍA/LANUZA 1987: 10).

Der Vorschlag (und die argumentative Verteidigung) einer Normative ist allerdings durchaus die Angelegenheit einzelner Autoren und bereits ein flüchtiger Blick ins Inhaltsverzeichnis zeigt, daß sich ein beträchtlicher Teil des Buches mit orthographischen und damit mit präskriptiven Themen befaßt. Tatsächlich ist allen Beteurungen des Preambul zum Trotz die ortographische und morphologische Normierung der llengua valenciana das vornehmliche Anliegen dieser Publikation, hinter welchem alles andere zurücktritt. Ehrlicherweise müßte der Titel des Buches also eher Les Normes de l’Academia Valenciana lauten. Entgegen dem ersten Eindruck richtet sich das Buch nicht an ein akademisches Publikum, sondern an ein interessiertes allgemeines Lesepublikum ohne irgendwelche spezifischen sprachwissenschaftlichen Vorkenntnisse. Diesem Laienpublikum vermittelt es, ohne auch nur den geringsten Ansatz einer Argumentation aufzuweisen, in ostentativ wissenschaftlicher Terminologie eine in Fachkreisen völlig unbedeutende Mindermeinung so, als handele es sich um unstrittige « wissenschaftliche Erkenntnisse » [12] . Das Katalanische, von dem in dem ganzen Buch ohnehin nur zwei oder drei Male die Rede ist, wird wie selbstverständlich als Fremdsprache dargestellt. Die Autoren sehen offenbar überhaupt keine Veranlassung, Argumente für die Notwendigkeit einer Ortographiereform beizubringen.

Angesichts der neuen Aktualität soll im folgenden die sezessionistische Position in ihrer Argumentation und ihren Forderungen kritisch dargestellt werden. Es gibt eine Reihe stets wiederkehrender τοπόι in der sezessionistischen Argumentation, die das folgende Zitat von Laura García zusammenfäßt:

“[...] se puede considerar la independencia de la lengua valenciana por las siguientes causas: culturales (como parte de la cultura valenciana y transmisora de ella, la denominación que le corresponde es la de lengua valenciana); literarias (los escritores del primer Siglo de Oro de las lenguas neolatinas escribían en valenciano y así denominaban a la lengua); históricas (el primitivo romance nació en Valencia y aquí se desarrolló dando paso a la formación de la lengua valenciana) y lingüísticas (las diferentes influencias que ha recibido la lengua valenciana le han proporcionado unas características propias y unas particularidades diferentes)” (Laura García Bru in: Levante vom 1. Oktober 1980. Zitiert nach: PÉREZ MORAGÓN 1982 (b): 38-9).

Das erste Argument, also die “causas culturales”, ist eigentlich kein Argument, sondern eine einfache Wortdefinition, die mit dem wissenschaftlichen Sprachgebrauch jedenfalls nicht übereinstimmt. Das Verhältnis der “llengua valenciana” zum Katalanischen wird nie thematisiert, sondern stets als unproblematisch dargestellt –nach Ansicht der Sezessionisten handele es sich um zwei völlig verschiedene Sprachen. Dem Argument liegt der folgende (und offensichtlich fehlerhafte) Syllogismus zugrunde :

  1. Prämisse : Wer Katalanisch spricht, ist Katalane. (=Nur Katalanen sprechen Katalanisch).
  2. Prämisse : A ist kein Katalane (sondern Valencianer).
  3. Conclusio : A spricht kein Katalanisch.

Der Hinweis darauf, daß ja die Kubaner auch kein Kastilier oder die Australier keine Engländer seien, hat die Sezessionisten bisher noch zu keiner Modifikation ihrer Position veranlaßt. Die objektiven Unterschiede zwischen dem gesprochenen Katalanischen Valèncias und dem des Principats sind minimal, insbesondere, wenn man nicht das xava-kontaminierte Barceloninische der TV3-Sprecher und das kastilianisierte apitxat der Stadt València als Vergleichspunkte nimmt, sondern beispielsweise einen Sprecher des català occidental aus Lleida und einen aus Dénia. Wollte man in der Bundesrepublik auf der Basis unvergleichbar größerer diatopischer Differenzen jeweils eigene Schriftsprachen einführen, ergäben sich allein im hochdeutschen Sprachraum zumindest die folgenden « Sprachen » : Rheinfränkisch, Moselfränkisch, Ripuarisch, Thüringisch, Obersächsisch, Südfränkisch, Ostfränkisch, Schwäbisch-Alemannisch und Bayrisch-Österreichisch.

In der Umbruchphase vor 1932, als in València noch völlige ortographische und normative Anarchie herrschte, wäre eine normative Abspaltung einer valencianischen Schriftsprache von der modernen katalanischen Schriftsprache noch denkbar gewesen, wenn durch diese Zersplitterung auch der allgemeinen Kastilianisierung nur noch weiter Vorschub geleistet worden wäre. Abgeschnitten von der glanzvollen mittelalterlichen Schreibtradition war einerseits die Dialektalisierung im gesamten katalanischen Sprachgebiet weit vorangeschritten, andererseits eine Vertrautheit mit den jeweils anderen Dialekten praktisch nirgends gegeben. Das Valencianische wäre dann im Sinne von KLOSS 1967 zu einer vom Katalanischen unabhängigen Standardsprache ausgebaut worden, zu einem Sprachtyp, für den Kloss den Begriff « Ausbausprache » eingeführt hat. Angesichts der allgemein anerkannten Tatsache, daß der Begriff « Sprache » sowohl eine liguistische als auch eine soziokulturelle Komponente umfaßt, unterscheidet Kloss nämlich je nach Art ihrer Individualisierung zwei Arten von Sprachen : zum einen die Abstandsprachen, denen allein schon aufgrund des Grades ihrer objektiven Verschiedenheit von allen anderen Bewerbern der Status einer Sprache zugesprochen wird ; zum anderen die Ausbausprachen, die aufgrund ihrer materialen Merkmale durchaus als Variante einer anderen Sprache aufgefaßt werden könnten, deren Sprecher aber in einem bewußten Abgrenzungsprozeß eine eigenständige Hochsprache ausgebildet haben [13] (so wie beispielsweise das norwegische nynorsk in bewußter Abgrenzung von der dänischen Standardsprache entstanden ist). Als aber 1932 mit der Unterzeichnung der Normes de Castelló das normative Chaos beendet wurde, fiel damit eine eindeutige Entscheidung gegen die Option einer eigenständigen « neuvalencianischen » Hochsprache und für die Option einer polyzentrischen pankatalanischen Standardsprache, die heute bereits fest etabliert ist.

Als zweites Argument für die Unabhängigkeit des Valencianischen führt García die “causas [...] literarias” an. Wie bereits weiter oben erwähnt, implizierte der Ausdruck “llengua valenciana” jedoch für die klassischen Autoren keinesfalls, daß sie nicht dieselbe Sprache verwandten, die man auch in Barcelona oder Ciutat de Mallorca sprach und schrieb (siehe dazu : SANCHIS GUARNER 1983 : 21-47). Selbst Carles Salvador, der vielleicht wichtigste Verbreiter der Standardkatalanischen Schriftsprache im País Valencià, gab seiner in unzähligen Auflagen verbreiteten Grammatik den Titel Gramàtica Valenciana, ohne damit die Einheit des Katalanischen in Frage stellen zu wollen. Außerdem beinhaltet das Argument eine implizite Vermischung der beiden getrennt zu betrachtenden Phänomene, einmal der Bezeichnung und zum anderen der Identität der Sprache.

Als drittes Argument führt García “causas [...] históricas” an, und zwar mit dem Hinweis :

“[...] el primitivo romance nació en Valencia y aquí se desarrolló dando paso a la formación de la lengua valenciana” [14] .

García spielt damit auf die Hypothese an, die katalanischen Eroberer Valèncias hätten dort eine autochtone mozarabische Bevölkerung vorgefunden, die sich ihre romanische Sprache erhalten hätte. Das Valencianische wäre dann nicht durch die Katalanen nach València gelangt, sondern hätte sich selbständig aus dem Mozarabischen entwickelt (quod esset demonstrandum...). Sprachwissenschaftler und Historiker diskutieren heute zwar noch, ob das valencianische Mozarabische sich zum Zeitpunkt der katalanischen Eroberung noch in Spuren und vereinzelten Rückzugsgebieten erhalten hatte, oder ob es bereits gänzlich verschwunden war. Ein so massives Überleben des Mozarabischen, wie es die obengennante Hypothese voraussetzt, wird heute generell verneint: [15]

“Was a community of Romance-speaking Mozarabs on hand to welcome King Jaume and his invaders? The thesis is popular but untenable. A negligible scattering of Mozarabs, especially among the lower classes, may have survived the persecutions and mass emigrations under the Almohads, to influence the crusaders’ Catalan into a Valencian form. The abundant crusade sources are thunderously silent on any such survivors, nor did they ever serve as intermediaries during or after the crusade”. (Robert I. Burns; zitiert nach: FERRANDO 1989: 118).

Die anderslautenden Theorien von A. Ubieto und anderen valencianischen Historikern bezeichnet Antoni Ferrando als

“[...] caracteritzades per una manipulació interessada dels fets històrics i per una metodologia poc rigorosa al servei d’una ideologia espanyolista i, en definitiva, antivalenciana”. (FERRANDO 1989: 123-4).

Das vierte und letzte Argument Garcías führt schließlich “causas [...] lingüísticas” an und verweist darauf, daß

“[...] las diferentes influencias que ha recibido la lengua valenciana le han proporcionado unas características propias y unas particularidades diferentes” [16] .

Das ist in seiner geringen Präzision zwar richtig, läßt aber durchaus die Möglichkeit offen, daß das Valencianische eben eine Variante des Katalanischen mit “unas características propias y unas peculiaridades diferentes” ist.

Neben diesen vier Argumenten Garcías tauchen jedoch auch noch einige weitere Argumente immer wieder auf. Der Hauptkritikpunkt der Sezessionisten an der standardkatalanischen Schriftsprache wird typischerweise so formuliert:

“Les normes [de Castelló; H.-I. R.] eren una simple copia (en alguns aspectes molt roïna) de les fetes per Pompeu Fabra per a la llengua catalana anteriorment. [...] en estes bases hi ha notables insuficiencies: a) de redaccio de les normes, b) d’explicacio i documentacio, c) de fonamentacio llingüistica, d) d’absencia de grafies i, en poques paraules –la mes important-, e) falta d’adequacio a la realitat actual de la llengua valenciana [...] (FONTELLES/GARCÍA/LANUZA 1987: 19).

Der Hauptvorwurf besteht also darin, daß sich die (standardkatalanische) Schriftsprache in manchen Aspekten von der gesprochenen Umgangsprache entfernt. Diesem Vorwurf liegt eine vorwissenschaftliche Vorstellung von der Funktion einer Standardsprache zugrunde, die vergißt, daß normierte Standardsprachen konventionelle Systeme sind, die eine ganz konkrete Funktion zu erfüllen haben, nämlich die Schaffung einer diatopisch unmarkierten H-Varietät, wie wir sie in allen europäischen Kultursprachen vorfinden. Das impliziert in vielen Fällen, daß bei konkurrierenden Formen auf der Basis einer Konvention eine als normativ ausgewählt wird, während die anderen aus der H-Varietät ausgeschlossen werden (ohne dadurch notwendig ihre Legitimität als gesprochene regionale Formen zu verlieren). Ihre Hauptaufgabe der Überregionalität kann eine Standardsprache nur in dem Maße erfüllen, in dem sie solche Entscheidungen vornimmt. Natürlich läßt sich an Standardsprachen vieles kritisieren : Sie können leicht oder weniger leicht erlernbar sein, sie können einzelne Dialekte stärker benachteiligen als andere, sie können übermäßig etymologisierend oder übermäßig phonetisch sein –was man ihnen nicht sinnvollerweise vorwerfen kann ist, daß sie in Einzelaspekten von einer regionalen L-Varietät abweichen, denn gerade dies ist ja ihre Aufgabe. Wer also an den Normes de Castelló kritisiert, sie gäben das Valencianische falsch wieder, begeht eine ähnliche Absurdität wie jemand, der die Anwendbarkeit der Neuhochdeutschen Schriftsprache für Hessen auf der Basis leugnete, daß sie der aktuellen sprachlichen Realität des Hessischen nicht entspreche.

Das Problem der Überregionalität (und sei es nur der innervalencianischen) wird von den Sezessionisten nicht thematisiert. Wiederholt findet sich dagegen die verblüffende Forderung, die Schriftsprache, wenn sie nur erst einmal von allem fremden « Ballast » gereignit sei, müsse gleichsam nach einmaligen Erklären der Grundprinzipien von jedem Valencianer fehlerfrei beherrschbar sein und dürfte keinen Lernaufwand bedeuten. Der Gedanke findet sich schon bei Josep Mª Bayarri (vgl. SANCHIS GUARNER 1983 : 187), der meinte, wenn man die Sprache lesen könne, könne man sie auch schreiben. Er taucht in anderer Form im Preambul der Gramatica de la llengua valenciana von FONTELLES/GARCÍA/LANUZA wieder auf, wo Casp von sich behauptet :

“Yo –com qualsevol- ya parlava i escrivia abans de vore una gramatica” (FONTELLES/GARCÍA/LANUZA 1987: 10).

Hier wird deutlich, daß für Casp das Valencianische mit solcher Selbstverständlichkeit sekundär ist (gegenüber dem Kastilischen), daß er sich dessen schon überhaupt nicht mehr bewußt ist –denn Kastilisch dürfte er sicher nicht bereits vor seinem ersten Blick in ein Schulbuch bzw. in eine Grammatik geschrieben haben. Die Forderung nach müheloser Beherrschbarkeit der Schriftsprache setzt entweder in unrealistischer Weise eine völlige diatopische und diastratische Homogenität der Sprache voraus, oder sie geht von einem Begriff von Schriftsprache aus, der die Bedürfnisse einer modernen Kultur- und Verkehrsprache nicht berücksichtigt. Es ist heute allgemein anerkannt, daß

“[...] historische Sprachen , sofern diese Träger einer fortgeschrittenen Kultur sind, geschichtet zu sein pflegen in einen langage transmis und einen langage appris. [...] Die sprachlichen Ausbaudimensionen der Universalisierung und Komplektisierung [...] machen die hochsprachliche Varietät [...] zu einem Sprachsystem, welches gegenüber der Volkssprache einen unverhältnismäβig höheren Lernaufwand erfordert”. (PETRUCK 1991: 32-3).

Die Sezessionisten verstehen dagegen ihre valencianische Ortographie als schlichte phonetische bzw. phonemische Transkription des Valencianischen [17] .

An einem simplen Beispiel läßt sich veranschaulichen, daß eine extrem enge Anlehnung an die gesprochene Sprache nur auf den ersten Blick und nur für die Sprecher der zugrundegelegten und notwendigerweise sehr eng begrenzten Varietät eine Vereinfachung darstellt. Die Normes del Puig lehnen beispielsweise die Form < nosaltres > ab, mit der impliziten Argumentation, diese Form sei “Katalanisch” und existiere nicht in der Comunitat Valenciana. Stattdessen verwenden sie die authentisch valencianische Form < nosatres >. Ein Blick ins DCVB unter dem Stichwort «NOSALTRES» relativiert diesen Anspruch allerdings. Tatsächlich kennt das Katalanische 35 verschiedene lokale Varianten des Wortes “nosaltres”, wobei die Form nozáltres [18] selbs nur in zwei Orten umgangssprachlich belegt ist, nämlich in Sort (Pallars Sobirà) und Pont de Suert (Alta Ribagorça) –d.h., auch im Principat selbst gibt die Fabrasche Ortographie nicht die majoritäre Lautgestalt wieder. Allein für das Gebiet des País Valencià nennt das DCVB sieben Varianten von “nosaltres”, nämlich: nozátres, nozátros, nátros, mozátros, mosátros, moátros, mátros. Doch welche von diesen sieben ist nun die authentische valencianische Form? Die Entscheidung für < nosatres> erscheint aus diesem Blickwinkel relativ willkürlich; in jedem Falle aber müßten die Benutzer der restlichen sechs Varianten nicht nur zum Erlernen der Fabra-Norm, sondern auch für die Normes del Puig eine neue «schriftsprachliche» Form lernen, die nicht mit der übereinstimmt, die sie spontan verwenden würden. Auch für die Normes del Puig gilt also, etgegen ihrem Anspruch, daß sie in dem Maße, in dem sie den Lernanaufwand für die Sprecher eines Subdialektes senken, den Aufwand für die Sprecher aller anderen Varietäten erhöhen [19] .

Aus liguistischer Sicht ist die unkritische Annahme eines klar vom Katalanischen getrennten und in sich homogenen Valencianischen, die ja in der Forderung nach einer valencianischen Normative zugrunde liegt, völlig unhaltbar. Tatsächlich bildet «das Valencianische» nicht einmal einen in sich geschlossenen Dialektkomplex (wie beispielsweise das Balearische). Nirgendwo finden sich markante Isoglossenbündel, die das Westkatalanische der Comunitat Valenciana vom Westkatalanischen des Principat trennten. Die vorgeblich unvalencianische Verbalendung /-o/ der ersten Person Singular Indikativ Präsens zieht sich beispielsweise noch weit ins Land València hinein: in Alcalà de Xivert, Peníscola, Vinaròs und vielen weiteren Orten sagt man /canto/ und nicht /cante/ (nach Veny 1983: 152). Dagegen kennt das Tortosinische wiederum so «typische valencianische» Formen wie /juí/ (judici), /vore/ (veure) oder /en/ (amb) (nach Veny 1983: 148). Der Begriff «Valencianisch» läßt sich demnach rein dialektologisch nicht fassen, sofern man ihn nicht außersprachlich als «Dialektkontinuum auf dem Territorium des ehemaligen Königsreichs València» definieren will.

Anders als die Verfasser der Normes del Puig hat Pompeu Fabra bei seiner Ortographiereform nicht nur alle Varianten des Principats, sondern auch die Valèncias (und der Inseln) berücksichtigt. Wesentliche Elemente seiner Norm dienen dem alleinigen oder vordringlichen Zweck, die Kompatibilität seiner Graphie mit den katalanischen Varianten südlich des Ebre zu gewährleisten. Es seien hier nur zwei genannt:

  1. Das im Ostkatalanischen stumme finale <-r> erscheint dennoch in der Ortographie, da es im überwiegenden Teil des Landes València [20] phonetisch realisiert wird [21] .
  2. Da im Ostkatalanischen unbetontes < a > und < e > zu Schwa neutralisiert werden, spräche von dieser Seite nichts dagegen, die Pluralendung der Feminina <-as> zu schreiben, was außerdem die graphische Allomorphie reduzieren würde: <vaca/vacas; platja/platjas; aigua/aiguas>; nicht zuletzt aus Rücksicht auf das Valencianische (und auf das Westkatalanische generell), das unbetontes < a > und < e > streng unterscheidet, schreibt man jedoch <-es>: <vaca/vaques; platja/platges; aigua/aigües> [22] .

Aus verschiedenen Indizien (nicht zuletzt daraus, daß sie selbst meist Kastilisch schreiben) läßt sich ablesen, daß den Sezessionisten an einer Normalisierung der “llengua valenciana” nichts gelegen ist; vielmehr geht es ihnen um die Bewahrung eines als «regional» empfundenen Kulturgutes um seiner selbst willen, während der überwiegende Teil des hochsprachlichen Aufgabenbereiches dem Kastilischen vorbehalten bleiben soll. Die “llengua valenciana” soll nicht wirklich als neue H-Varietät dem Kastilischen zur Seite gestellt werden oder es gar ersetzen. Aus dieser stark eingeschränkter Funktion, die der Sprache beigemessen wird, erklärt sich auch die Forderung, der Lernaufwand zur Aneignung der valencianischen Normative habe minimal zu sein –schließlich müssen die Valencianer mit dem Kastilischen (“l’atra llengua dels valencians”, FONTELLES/GARCÍA/LANUZA 1987: 21) ja schon die Normative einer «vollwertigen» Hochsprache erlernen. Die geringe Funktionalität, die einer valencianischen H-Varietät zugesprochen wird, läßt demzufolge die Lernökonomie zu einem zentralen Punkt werden, während die Überregionalität, sofern sie überhaupt als Problem erkannt wird, dagegen nebensächlich wird. Ob gewollt oder ungewollt, trägt der sprachliche Sezessionismus so zu einer weiteren Schwächung des Katalanischen in València bei und leistet damit der fortschreitenden Kastilianisierung Vorschub.

Eine klare disglossische Funktionsteilung zwischen den beiden Sprachen wird von den Sezessionisten also nicht nur akzeptiert, sondern geradezu angestrebt. Es deutet jedoch alles darauf hin, daß die Bereitschaft zur Erlernung einer elaborierten H-Varietät einer Regionalsprache exponential mit den Möglichkeiten bzw. der Notwendigkeit ansteigt, sie in möglichst vielen Lebensbereichen zu verwenden. Gerät diese gesellschaftliche Nützlichkeit unterhalb eines kritischen Punktes, ist der Standardisierungsversuch der Regionalsprache zum Scheitern verurteilt. Solange der «Zugang zu der gehobenen gesellschaftlichen Sphäre» vollständig auch über das Kastilische garantiert ist,

“[...] greift der Ausbau der Regionalsprache registerfunktionell gleichsam ins Leere. Wird sie dennoch gesellschaftlich per Dekret gleichgestellt, so ist damit zu rechnen, daβ sich weite Teile der Bevölkerung, die philologisch wenig ambitioniert sind und die Vorstellung von Dezentralisierung eher ökonomisch-administrativ aufgefüllt sehen, dem Aufwand verweigern, eine weitere morphologisch normierte, syntaktisch hochkomplexe, lexikalisch hochgradig universelle Sprachnorm zu erwerben und ihre Standardisierung zu befolgen” ”(PETRUCK 1991: 36-7).

Eine Sprache ohne standardisiete H-Varietät hat im Europa des 21. Jahrhunderts aber nur geringe Überlebenschancen.

Die Sezesionisten berufen sich also in ihrer Argumentation (falls eine solche überhaupt stattfindet) auf Tatsachenbehauptungen, die allesamt, sofern sie wissenschaftlicher Überprüfung zugänglich sind, von der Fachwissenschaft verworfen worden sind ; im Ergebnis vertreten sie nicht eine Stärkung, sondern eine Schwächung und Kastilisierung der autochtonen Sprache Valèncias ; eine wesentliche Motivation dieser Bewegung entspringt einer augenscheinlich irrationalen Katalanophobie, die sich als Valencianophilie tarnt. Das ganze Phänomen ist vom rein philologischen Standpunkt aus kaum nachzuvollziehen und dürfte daher zunehmend nicht nur für die Soziolinguistik, sondern auch für die Soziologie und Politologie einen interessanten Forschungsgegenstand darstellen. Gerade die Beiträge von Ausländern könnten durch ihren größeren Abstand von der jeweiligen Tagesdiskussion sicher wichtige neue Einsichten liefern und wären daher höchst willkommen. Bis dahin sind alle Philologen aufgerufen, einer weiteren Instrumentalisierung der Wissenschaft für rein ideologische Zwecke Einhalt zu gebieten, indem sie den Wissenschaftsanspruch offensichtlich haltloser Hypothesen der Sezessionisten stets aufs neue anfechten.

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1993 © Hans-Ingo Radatz. Dieses Material kann nicht benutzt, kopiert oder vertrieben werden. Für diese Wiedergabe hat der Verfasser dieses Artikels die notwendige Erlaubnis gegeben.


  1. ^ Übrigens auch von einigen, die später flammende Gegner der von ihnen selbst unterschriebene Normen wurden.
  2. ^ Die Normes de Castelló waren insofern ein Schlüsselereignis, als sie die erneute Anbindung der valencianischen Schriftsprache an diejenige des restlichen katalanischen Sprachgebietes festlegte. Der Einfachheit halber bezeichne ich im folgenden die nicht-sezessionistische Norm als “Normes de Castelló”. Dabei sollte jedoch nicht vergessen werden, daß die eigentliche Ausgestaltung dieser Norm (Morphologie, Morphosyntax, Lexikon, etc.) erst später durch die Grammatiken von Manuel Sanchis Guarner, Carles Salvador und anderen geschah (vgl. z. B. SALVADOR 1982).
  3. ^ Zu den wenigen generell akzeptierten valencianischen Varianten gehören: die 1. Person Präsens Indikativ auf (jo cante) bzw. konsonantischen Ausgang (jo afegesc); die Subjunktive auf <-a> bzw. <-e> (tinga, afegesca, cante); die Subjunktive des Imperfekts auf <-ara> oder <-era> (cantara, haguera); die Schreibung < meua, teua, seua> (anstatt meva, teva, seva) sowie eine Anzahl lexikalischer Elemente wie: hui (=avui), eixir (=sortir) oder –wie im Mallorquinischen- per favor (=sisplau).
  4. ^ Selbst für einen so überzeugten Verfechter eines spanischsprachigen Spaniens wie Gregorio Salvador gibt es in dieser Hinsicht keinen Zweifel: “Sabemos que [el texto constitucional] se publicó en gallego, vasco, catalán y valenciano, relación que llena de perplejidad a cualquier romanista medianamente enterado, pues las dos últimas no son sino dos modalidades de la misma lengua y en un texto legislativo cabe poca variación dialectal. Pero es que la perplejidad se convierte en asombro si se decide uno a consultar el BOE del 29 de diciembre de 1978, donde se publicaron tales textos, porque resulta que el texto valenciano repite el catalán punto por punto, palabra por palabra, sin faltar coma ni variar letra” (SALVADOR 1987: 93).
  5. ^ Zwar soll das argumentum ex auctoritate hier nicht überstrapaziert werden, doch mag das folgende Dokument stellvertretend für zahlreiche andere illustrieren, daß die internationale Romanistik in der Frage des Valencianischen eindeutig Stellung bezogen hat. Im Rahmen des XVI. Internationalen Romanistenkongresses, der im April 1980 in Ciutat de Mallorca abgehalten wurde, verfaßten die Teilnehmer ein Manifest, in dem es unter anderem heißt: “Els romanistes sotasignants [...] s’oposen [...] als intents de secessió idiomàtica que propugnen al País Valencià certs grups de pressió, per raons desproveïdes de base científica. El català, com qualsevol llengua, té una estructura definida i els romanistes del XVI Congrés consideren rebutjables aquests intents de fragmentació lingüística”. Unter den Unterzeichnern waren u.a.: Albert Henry, Giuseppe Tavani, Alberto Limentani, Iorgu Iordan, Xavier Ravier, Takeshi Shimmura, Veikko Väänänen, Felix Lecoy, Adriano de Gama Kury, Max W. Wheeler, Luis F. Lindley Cintra, Joseph Cremona, Herbert Peter, Alberto Várvaro, Giuseppe Grilli, Helmut Lüdtke, Marius Wandruszka, Koji Pakenchi, Brigitte Schlieben-Lange, Eugenio Coseriu, Max Pfister, Manuel de Paiva Boleo, Maria Grossmann, Michael Metzeltin, Giulano Gasca Queirazza, Sophia Kantor, Pietro Palumbo, Madeleine Tyssens, Gaston Dulong, Cesare Segre, Peire Bec, Georges Straka, Udo L. Figge, Aurelio M. Roncaglia, Gerold Hilty, Kristin Müller, Georg Kremnitz, Artur Greive, Kurt Baldinger i Antonio Geraldo de Cunha (PITARCH/PALOMERO/PASCUAL 1981: 247-8).
  6. ^ Um nicht ständig «[sic!]» schreiben zu müssen, sei hier darauf hingewiesen, daß alle Titel, Namen und Zitate in der Originalortographie angegeben sind.
  7. ^ Zur Geschichte der Academia und zu ihrer zweifelhaften Legitimation siehe PÉREZ MORAGÓN 1982 (b) sowie SEBASTIÀ 1991: 10-13 (zur Entwicklung nach 1982).
  8. ^ Die Tatsache, daß selbst dieses Manifest auf Kastilisch verfaßt ist, gibt Klaus Bochmann recht, wenn er bemerkt: “Auch heute betonen in Valencia diejenigen Kreise die singuläre Stellung des Valencianischen und bezichtigen Barcelona des Imperialismus, die am engsten mit dem früheren Regime verbunden waren und die bezeichnenderweise in ihren Veröffentlichungen Kastilisch gebrauchen” (BOCHMANN 1989: 181)
  9. ^ “L’arribada del Partit Popular i Unió Valenciana a l’alcaldia de València han donat un suport institucional a les teories secessionistes i la regidora d’educació Dolores García Broch protagonitzava [...] un nou acte de la seua representació particular. Indignada per la presència d’uns llibres realitzats sota la responsabilitat de l’anterior alcaldia socialista i escrits en català, en manava el segrest. Però, com “no val la pena tirar-los perquè ja s’han gastat uns diners imprimint-los” la regidora va tenir la genial idea de disposar que foren “regalats al president Pujol””. (SEBASTIÀ 1991 (b): 11).
  10. ^ Es handelt sich um eines der wenigen Bücher, in denen die Normes del Puig tatsächlich Anwendung gefunden haben.
  11. ^ Im Kaufhaus El Corte Inglés in València bemerkte der Autor nicht nur unter “Regionales” einen Stapel von etwa 15 Exemplaren, sondern noch einen ähnlichen Stapel bei den Bildbänden –ungewöhnliche Mengen für eine wissenschaftliche Publikation.
  12. ^ Siehe auch meine Rezension zu FONTELLES/GARCÍA/LANUZA 1987, die in Kürze in der Revista de Filología Románica erscheinen wird.
  13. ^ “We are dealing with dialects whose speakers would certainly be reported by linguists as constituting a single linguistic community if they were at a preliterary stage. They have, however, created two literary standards which are based on different dialects and therefore characterized by all-pervading differences which, while not necessarily excluding mutual intelligebility, yet make it impossible to treat them as one unit. Striking examples are the relations existing between Czech and Slovak, Danish and Swedish, Bulgarian and Macedonian” (KLOSS 1967: 31).
  14. ^ Laura García Bru, in: Levante, 1 Oktober 1980; zitiert nach PÉREZ MORAGÓN 1982 (b): 38-9.
  15. ^ Vgl. auch SANCHIS GUARNER 1983: 118-134.
  16. ^ Laura García Bru, in: Levante, 1. Oktober 1980; zitiert nach PÉREZ MORAGÓN 1982(b): 39.
  17. ^ So etwa bei Bayarri: “La sqritura del valensiá –i totes- respons al parlar xeneral i qonstant. Les lletres an de ser representacsió dels sons esensials; perqe no es sientífiq, ni tan sols de sentit qomú esqriure lletres qe no tenen só en la paraula [...]” (citat a SANCHIS GUARNER 1983: 186).
  18. ^ ALCOVER, Antoni Mª/MOLL, Francesc de Borja: Diccionari Català-Valencià-Balear, Tom VII: NOSALTRES (S. 787-8). Aus technischen Gründen gebe ich die Transkription etwas vereinfacht wieder.
  19. ^ Vgl. dazu die Diskussion in KREMNITZ 1974: 54-64.
  20. ^ Und nur dort, wie die Karte «CANTAR» im Atlas Lingüístic de Catalunya (GRIERA 1923-1964) zeigt.
  21. ^ Es gab durchaus andere Tendenzen –Joan Maragall schrieb beispielsweise «dâ», «fê» oder «Senyó» anstelle von «dar», «fer» und «Senyor».
  22. ^ Vgl. MEISENBURG 1991: 62-63.

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